Ingeborg Ruthe, Alltag mit Pausentaste | 2004

Berliner Zeitung,  27. März 2004

Zerschlagene Eier ziehen Schlieren über eine Herdplatte; ein nächstes Foto zeigt einen zerteilten Granatapfel, dessen klebriger Saft auf der Tischplatte gerinnt, daneben liegt ein rotfleckiger Abwaschlappen. Motive mit Essensresten sind unappetitliche Hinterlassenschaften. Solche Bilder kleben und riechen nach Alltag, sie haben so gar nichts von dem brillanten Perfektionismus, mit dem Hochglanzfotos für „Schöner Wohnen“ und „Genussvoll Essen“ werben. In Maria Sewczs nun umfänglich ausgestellten Arbeiten aus 20 Jahren summiert sich ohne Umschweife, nur mittels der Aufsicht der Kamera, ihr Interesse an banalen Dingen, an Zufall und Komposition, Realität und Symbolik, Alltag und Kulturgeschichte. Solche Bilder sind Stillleben, deren Poesie sich mit einer schwer aushaltbaren körperlichen Präsenz verbindet. Hinzu kommen bei dieser Fotografin radikale, auch destruktive Schnitte und merkwürdige Konfrontationen der Motive: Etwa das ausgeschlachtete DDR-Wappen am Palast der Republik neben einem weiblichen Oberkörper, der mit den Elektroden eines Langzeit-EKGs übersät ist. Oder ein amputierter, kaum noch als solcher kenntlicher Baum, aus der Vertikale in die Horizontale gekippt, im Kontrast zu Kinderspielzeug. Die Reihenfolge solcher Aufnahmen, meint die Fotografin, entspreche der realen Abfolge von Seh-Erlebnissen im dokumentarischen Film. Tatsächlich gleicht Maria Sewczs Wahrnehmung und Darstellung ihrer Umwelt einem Film mit leeren Stellen, in die sie den Betrachter seine eigenen Bild(-Erfahrungen) einsetzen heißt. Und so erscheint das zunächst zufällig Aufgenommene auf einmal systematisch. Kontraste werden überdeutlich – geben sich als Urbanes, Soziales, Elementares. Diese Bilder gehen merkwürdige, bisweilen paradoxe Paarungen ein oder machen Zusammenhänge deutlich, die man zuvor nie wahrgenommen hat. Weder Sensationelles noch Stereotypes weckt das Interesse der Fotografin, Jahrgang 1960, gebürtige Schwerinerin, Wahlberlinerin seit Jahren und einst Schülerin von Arno Fischer und Timm Rautert an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. Die Neugier der Künstlerin gilt dem Alltäglichen, scheinbar Kunstlosen, in jedem Fall aber den Situationen und Gegebenheiten, denen außer den unmittelbar daran Beteiligten niemand Aufmerksamkeit schenkt. Soziologische Erkenntnisse allerdings lassen sich aus diesen ungeschmeidigen Bildern nicht beziehen, sie taugen nicht zur Verallgemeinerung. Nicht dieses im einzigen Video der Ausstellung auf einem Hinterhof unablässig mit dem Roller Kreise fahrende, immer an der gleichen Stelle stürzende Kind; auch nicht die Aufnahmen von Leuten in einer Berliner Straßenbahn mit Rosenwerbung oder ein Autolenkrad vor einer Frontscheibe, dahinter Wolken und ein Himmel voller Preußisch Blau. Auf großen Farbfotos, die einen ganzen Saal im Haus am Waldsee füllen, scheint es um Balance zu gehen, um Bewegungsenergien. Die Fliehkräfte wollen förmlich den Bildraum sprengen, so auch in einer Fotocollage aus allerlei großgemusterten, halb abgerissenen Tapeten, die Lebensspuren markieren. Das nächste Motiv ist ein Zusammenschnitt aus regennassen Gartentischen, Plastikstühlen, Plastiktischdecken und einem Teller Pommes. Solche Lebenssituationen, wie mit der Pausentaste angehalten, etwa das Motiv eines schlafenden, in Decken gehüllten Kindes, fotografiert Maria Sewcz mit einem ausgesprochen malerischen Blick, die Motive sind von einer ostentativen Nahsicht auf die simpelsten Dinge geprägt, die als Fragmente erscheinen. Jeder Gegenstand – die flüchtigen Details des Mobilars, Geschirrs, verlassener Gebäude, vergessener Gerätschaften – wird vom Bildrand förmlich angeschnitten. Aus Funktion wird Form, dabei arrangiert Maria Sewcz die funktionalen Qulitäten nicht kunstvoll, sie inszeniert nicht wie in der altmeisterlichen Tradition des Stilllebens. Ihre Sicht auf die Dinge ist ohne Umschweife hart, mitunter fast gewaltsam. Neben ihrer erzählerischen Seite haben diese Bilder immer etwas Nüchtern-Dokumentarisches. Interessanterweise aber geraten so die strukturbildenden Spannungen zwischen lebendem und totem Material, zwischen Natur und moderner Zivilisation als Bedeutungsträger einer doch eher romantisch-melancholischen Sehweise umso stärker. Die Dingwelt auf den Fotos von Maria Sewcz erscheint zum einen unmissverständlich als Beleg oder Auswurf der modernen Zivilisation, in der die Dinge erfunden, produziert, benutzt, verschlissen, zerstört, weggeworfen werden. Zugleich stecken in ihnen Regenerationsfähigkeit und Imaginationskraft. Und das verrät die Suche dieser Fotografin nach Spuren des Transzendenten im Alltäglichen. Foto: Motiv aus Maria Sewczs Serie „kolorit“, 1994-2004

Text von Ingeborg Ruthe

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