Sabine Vogel, Ortungen einer Fußgängerin | 2015

BLZ_9-7-15

 

Berliner Zeitung, Feuilleton, 10. Juli 2015

Ortungen einer Fußgängerin

Was ist der Grund für eine Stadt? Warum ist dieser Ort dort? Wie ist ihr Gefüge entstanden?  Welche Formen haben ihre Straßennetze? Sind es Raster, Achsen, Strahlen oder Labyrinthe? Welche Schichten der Vergangenheit und Gegenwart haben sich ihren Architekturen  eingeschrieben  und  einander überschrieben? Wie haben Machtrepräsentation, Kriege, Pest oder neue Produktionsbedingungen  ihre Struktur geprägt? Haben Flüsse und sieben Hügel die sozialen Topografien  von oben und unten bestimmt?  Wie hat die Geschichte aus Migration,  Industrialisierung und Gentrifizierung die  Räume der Zentren und Peripherien gestaltet?
Die Berliner Fotografin Maria Sewcz flaniert durch die Städte, in die sie durch Zufälle, Freunde, Einladungen zu Ausstellungen gerät. In ihren Bildern sind Überlagerungen von räumlichen und zeitlichen Ebenen mit  der eigenen Bewegung kombiniert.  Fotografieren, ja das Sehen an sich, ist ihr ein körperlicher Vorgang.  Der Blickwinkel des Gehenden verändert sich mit der stetigen Verschiebung der Standpunkte,  einer Neigung oder Kopfdrehung.  Das Erlaufen einer  Stadt öffnet  die Wahrnehmung für das Gewebe aus  Raum und Zeit, Bezüge zwischen Gebäuden und Erinnerungen, Wegen und Ideen blitzen auf. Einmal, als sie Blasen an den Füßen bekam, lief sie tagelang barfuß. Die Erfassung der Stadt mit den Fußsohlen  verlieh  neue   Intensität. Sewcz‘ Aufnahmen sind nicht Behauptungen über das Sein einer Stadt, eher  Andeutungen einer Möglichkeit von Vorstellung. Im flüchtigen Augenblick ist die Vergangenheit aufgehoben.

Text von Sabine Vogel

Palimpsest – Überschreibungen
Ausstellung mit Arbeiten von  Sabine Beyerle,  Daniela Friebel,  Varda Getzow,  Kerstin Seltmann,  Maria Sewcz und  Heike Zappe
vom  11. Juli  bis  29. August  2015
Galerie Alte Schule Adlershof,  Dörpfeldstraße 56,  12489 Berlin